Geschichte
Geschichte des Wiener Arbeitskreises für Psychoanalyse
1947 wurde der Wiener Arbeitskreis für Psychoanalyse als Wiener Arbeitskreis für Tiefenpsychologie gegründet. Dies war die formelle Konstituierung des sogenannten tiefenpsychologischen Seminars, eines seit 1945 bestehenden Kreises von PsychologInnen, ÄrztInnen, PhilosophInnen und anderen an der Psychoanalyse Interessierten. Die Vereinsgründung war mit der Einrichtung eines eigenen Lehr- und Ausbildungsprogramms verbunden. Leiter der Gruppe und Gründer des Arbeitskreises war der aus Russland nach Österreich eingewanderte Erziehungswissenschaftler Igor Caruso.
1967 wurde Caruso als ordentlicher Professor für Psychologie an die Universität Salzburg berufen. Salzburg war zu diesem Zeitpunkt die einzige Universität Österreichs, an der Psychoanalyse gelehrt wurde.
1981 starb Igor Caruso und hinterließ ein schwieriges und gleichzeitig vielschichtiges Erbe. Die Tatsache, dass er im Jahre 1942 acht Monate lang an der „Kinderfachabteilung“ am Spiegelgrund (der psychiatrischen Anstalt Am Steinhof) beschäftigt war und dort auch psychologische Gutachten über Kinder erstellen musste, wirft die Frage auf, wie tief er in das Euthanasieprogramm der Nationalsozialisten verstrickt war. Die entsprechende historische Forschung, welche ein Projekt des WAP mit Unterstützung der öffentlichen Hand darstellt, ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht abgeschlossen. Innerhalb des Vereins werden aktuell auch diverse Veranstaltungen zur Frage der Bedeutung dieses Sachverhalts für die Geschichte des WAP und seine Mitglieder abgehalten.
Andererseits hinterließ Carusos Wirken in Salzburg bis heute positive Spuren auf dem Feld der Sozialpsychologie und Psychiatrie. Zusammen mit Heimo Gastager etwa trat Caruso für eine Psychiatriereform ein, die einen paradigmatischen Wechsel einläutete. Aus seinen Randgruppenseminaren gingen Sozialprojekte hervor, die sozial schwächer gestellten Menschen systematisch rechtliche, soziale und psychologische Unterstützung bot.
In einer wechselvollen Geschichte wandelte sich der Arbeitskreis von einer losen an Philosophie, Medizin, Theologie und Psychoanalyse orientierten Diskussionsgruppe in ein psychoanalytisches Institut um, das nach 1945 die Psychoanalyse in ganz Österreich entscheidend beeinflusste und prägte. In den 1960er-Jahren bezog man sich vermehrt auf die Psychoanalyse Freuds, und Carusos eigenständige Theorie der Progressiven Personalisation geriet in den Hintergrund. Klassische psychoanalytische Konzepte und die Betonung von Übertragung, Widerstand und Abstinenz gewannen an Bedeutung. Nach Carusos Übersiedlung nach Salzburg entwickelte der Wiener Arbeitskreis ein autonomes psychoanalytisches Leben, auch wenn Carusos Einfluss noch länger bestehen blieb. Im Zuge der forcierten Orientierung an orthodoxen psychoanalytischen Positionen gab es mehrere Abspaltungen, da verschiedene KollegInnen diesen Wechsel nicht mittragen wollten.
1988 erfolgte unter der Präsidentschaft Elisabeth Mayers die Umbenennung des Wiener Arbeitskreises für Tiefenpsychologie in Wiener Arbeitskreis für Psychoanalyse. Im selben Jahrzehnt wurde die Lehranalyse mit einer Frequenz von vier Stunden verpflichtend für alle AusbildungskandidatInnen. Innerhalb des Wiener Arbeitskreises sind heute die wichtigsten psychoanalytischen Schulen vertreten; im lebendigen Austausch haben sie auch ein konstruktives Miteinander gefunden.