Kritik an der psychoanalytischen Forschungsmethode
Von Seiten der akademischen Wissenschaftstheorie wurde schon seit den 1950er Jahren zunehmend Kritik am angeblichen Subjektivismus der psychoanalytischen Methode laut (vgl. z.B. Popper 1963). Diese wurde von Seiten der Psychoanalyse durch einen schleichenden Wechsel im Wissenschaftsparadigma in Richtung einer hermeneutisch orientierten Forschungsauffassung zu entkräften versucht. Doch seit den 1970er Jahren wurde auch innerhalb der Psychoanalyse teilweise heftige Kritik an der Einzelfallstudie als ausschließlichem Erkenntnisinstrument der Psychoanalyse geübt (vgl. Edelson 1985, Leuzinger-Bohleber 1995) . Die Hauptzweifel betreffen die Fragen,
a) inwieweit das klinische Material von suggestiven Einflüssen ausreichend frei sein kann bzw. wie man mit dem suggestiven Einfluss umgehen kann, wenn man die Triftigkeit einer psychoanalytischen Deutung untersuchen will. Schon Freud bemerkte die Tatsache, dass fast alle Patienten unbewusst den Erwartungen des Analytikers entsprechen wollen. Freud sprach z.B. von „Gefälligkeitsträumen“. Dementsprechend haben bekanntlich die Träume von Patienten bei Freudianischen Analytikern viele typisch Freudianische Merkmale, im Unterschied zu Patienten von jungianischen Analytikern, die eher jungianisch träumen.
b) inwieweit die Selektivität des Analytikers bei der Auswahl des Materials, das er zur Deutung heranzieht, reflektiert werden kann bzw. ob es nicht unvermeidlich ist, dass die dem Analytiker bewusst und unbewusst naheliegenden Deutungen in seiner Datenauswahl und der Darstellung des Materials bevorzugt werden, sodass alternative Hypothesen eigentlich nicht ernsthaft geprüft werden.
c) inwieweit durch die Unzugänglichkeit des Materials für außenstehende Forscher eine intersubjektive Überprüfung der entwickelten Deutungen und klinischen Konzepte möglich bzw. unmöglich ist.
Wissenschaftstheoretiker nennen das die Kontamination der Daten in der Psychoanalyse. Adolf Grünbaum, der als 15-Jähriger vor dem Nationalsozialismus geflohene US-amerikanische Wissenschaftstheoretiker, der sich Mitte der 1980er Jahre skeptisch mit der psychoanalytischen Methode auseinandergesetzt hat, bestreitet wegen der Daten-Kontamination prinzipiell die Möglichkeit, das durch die freie Assoziation von Patienten produzierte Material zur Belegung analytische Deutungen, geschweige denn analytischer Theorien verwenden zu können. Dem Argument von Seiten der Psychanalytiker, dass richtige Deutungen für den Analytiker spürbar andere Reaktionen auslösen als falsche, dass sie bspw. zu neuen, tiefer gehenden Einfällen führen, die Übertragungsbeziehung vertiefen oder paranoide Ängste lindern, wird entgegen gehalten, dass alle diese Phänomene auch andere Gründe als die Richtigkeit der eben gegebenen Deutung haben können. Letztlich kann die Möglichkeit, dass neuerlich suggestive Faktoren wie z.B. unbewusste Gefälligkeitswünsche eine Rolle spielen, nie ausgeschlossen werden (Grünbaum 1984).
- Edelson, M. (1998): The Hermeneutic Turn and the Single Case Study in Psychoanalysis. Psychoanalysis and Contemporary Thought 8, 567-614.
- Grünbaum, A. (1984, dt. 1988): Die Grundlagen der Psychoanalyse. Eine philosophische Kritik. Stuttgart: Reclam.
- Leuzinger-Bohleber, M. (1995): Die Einzelfallstudie als psychoanalytisches Forschungsinstrument. Psyche – Z Psychoanal 49, 434-480.
- Leuzinger-Bohleber, M. (2007): Forschende Grundhaltung als abgewehrter „common ground“ von psychoanalytischen Praktikern und Forschern? Psyche – Z Psychoanal 61, 966-994.
- Popper, K. R. (1963). Conjectures and refutations: the growth of scientific knowledge. London: Routledge and Kegan Paul.