WAP Jour fixe – Robert Pfaller: Zwei Enthüllungen über die Scham
Immer mehr Menschen bekommen es derzeit mit der Scham zu tun. Sie fühlen sich abgehängt, überflüssig im Beruf, überfordert von ihren Apparaten; oder sie fühlen sich exponiert, bloßgestellt in der Öffentlichkeit, zum Beispiel wegen ihres Körpers oder wegen ihrer Wortwahl; insbesondere in der Öffentlichkeit der sogenannten „sozialen“ Medien. Entweder schämen sie sich für sich selbst, oder sie schämen sich in Bezug auf andere – sei es nun für sie, oder sei es anstelle dieser anderen, durch "Fremdschämen". Neu dabei ist, dass manche nun sogar stolz zu sein scheinen auf ihre „Flugscham“, „Bauscham“ oder „Geschenkpapierscham“.
Die Beobachtung dieser aktuellen Phänomene liefert wertvolle Hinweise, um zwei klassische, bis heute wirkmächtige Irrtümer über die Scham zu widerlegen: Erstens den aus der Kulturanthropologie stammenden Irrtum, die Scham wäre ein „außengeleitetes“ Gefühl (im Gegensatz zur „innengeleiteten“ Schuld). Und zweitens den sowohl in der Psychoanalyse als auch im common sense verwurzelten Irrtum, die Scham entstünde dann, wenn man ein Ideal verfehlt. Auf diesem Weg lässt sich schließlich auch erklären, warum unsere aktuelle Kultur, obwohl sie so sehr von Scham heimgesucht wird, keine „Schamkultur“ ist.
Robert Pfaller ist Professor für Philosophie an der Kunstuniversität Linz. Gründungsmitglied der Wiener Forschungsgruppe für Psychoanalyse "stuzzicadenti". Professuren und Gastprofessuren u. a. in Amsterdam, Berlin, Chicago, Strasbourg, Toulouse, Wien, Zürich.
2020 ausgezeichnet mit dem "Paul-Watzlawick-Ehrenring" für das Buch „Erwachsenensprache“, verliehen durch die Ärztekammer Wien.
2015 "Best Book Published in 2014" Auszeichnung durch das American Board of Professional Psychology (ABAPsa) für The Pleasure Principle in Culture: Illusions without Owners (Verso, 2014).
2007 “The Missing Link” Preis für die Verbindung der Psychoanalyse mit anderen Disziplinen, verliehen durch das Psychoanalytische Seminar Zurich, Switzerland.
Veröffentlichungen (eine Auswahl):
2022 Zwei Enthüllungen über die Scham. Frankfurt/M.: Fischer
2020 Die blitzenden Waffen. Über die Macht der Form, Frankfurt/M.: Fischer
2017 Erwachsenensprache. Über ihr Verschwinden aus Politik und Kultur, Frankfurt/M.: Fischer
2011 Wofuer es sich zu leben lohnt. Elemente materialistischer Philosophie, Frankfurt/M.: Fischer
2008 Das schmutzige Heilige und die reine Vernunft. Symptome der Gegenwartskultur, Frankfurt/M.: Fischer
2008 Die Ästhetik der Interpassivität. Hamburg: philo fine arts
2002 Die Illusionen der anderen. Über das Lustprinzip in der Kultur, Frankfurt/M.: Suhrkamp
Demnächst (Frühjahr 2025) erscheint:
Das Lachen der Ungetäuschten. Die philosophische Würde der Komödie (S. Fischer Verlag)
Moderation: Veronika Waitz
Datum/Uhrzeit: | Mi., 05.03.2025 20:15 – 21:15 UhrAls VCalendar (ICS) speichern |
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Veranstaltung: | WAP Jour fixe |
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