Psychotherapiegesetz und Psychotherapieausbildung NEU 2023
Vorsitzender des Wiener Arbeitskreises für Psychotherapie
Juni 2023
Unabdingbare Voraussetzungen für die Ausbildung in Psychoanalyse als psychotherapeutisches Verfahren in Österreich
Präambel
Im Hinblick auf eine angestrebte Neufassung des österreichischen Psychotherapiegesetzes und auf eine Neuregelung psychotherapeutischer Ausbildungen unter Berücksichtigung einer großen Zahl von staatlich anerkannten Psychotherapiemethoden mit sehr unterschiedlichen Ansätzen, welche wiederum unterschiedlichen Berufsgruppen (Psychotherapeuten, Klinische Psychologen und Ärzte) zuzuordnen sind, ergibt sich die Notwendigkeit, den spezifischen Voraussetzungen der einzelnen Methoden und Schulen für ihre Ausbildung und ihre Praxis Rechnung zu tragen.
Was die Psychoanalyse und die von ihr abgeleiteten Verfahren betrifft, seien ihre Behandlungs- und Ausbildungsprinzipien und ihre identitäts- und qualitätssichernden Kriterien in ihren Grundzügen dargestellt. Daraus ergeben sich auch spezifische Forderungen und Hinweise auf unannehmbare Bedingungen.
Organisation der Psychoanalyse in Österreich
Die Wiener Psychoanalytische Vereinigung (WPV) und der Wiener Arbeitskreis für Psychoanalyse (WAP), bilden gemeinsam mit dem Arbeitskreis für Psychoanalyse Linz/Graz, dem Innsbrucker Arbeitskreis für Psychoanalyse, dem Psychoanalytischen Seminar Innsbruck, dem Salzburger Arbeitskreis für Psychoanalyse und dem Wiener Kreis für Psychoanalyse und Selbstpsychologie sowie mit tiefenpsychologischen Vereinen, mit Vereinen für psychoanalytische Psychotherapie und für Gruppenpsychoanalyse den Cluster „Psychodynamische Orientierung“ im Rahmen der vom Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz anerkannten Psychotherapiemethoden. Darüber hinausgehend ist die Psychoanalyse in ihrer Bedeutung als Bestandteil der Wissenschaften vom Menschen (insbesondere Kultur- und Gesellschaftstheorien) an verschiedenen Universitäten und universitätsnahen akademischen Institutionen mit nicht-klinischen Aus-, Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten vertreten.
Verbindlichkeiten gegenüber nationalen und internationalen Körperschaften
Die WPV und der WAP nehmen insofern eine Sonderstellung ein, als sie in ihrer Ausbildungsorganisation mit den Richtlinien der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung (IPV) verbunden sind, einer Vereinigung, die, von Sigmund Freud begründet, die weltweit wichtigste Akkreditierungs- und Regulierungsbehörde für den Beruf darstellt und die Aufgabe erfüllt, die anhaltende Kraft und Entwicklung der Wissenschaft der Psychoanalyse sicherzustellen.
Der IPA als Mitgliedergesellschaft besteht aus etwa 13.000 Mitgliedern aus über 80 Komponentengesellschaften weltweit. Der IPA beigeordnet ist die Europäische Psychoanalytische Föderation (EPF) als wissenschaftliche Dachgesellschaft, welcher alle europäischen IPA-Gesellschaften zusätzlich angehören.
Das für die WPV und den WAP gültige und seit 1925 angewandte Eitingon-Modell zur Ausbildung zum Psychoanalytiker/zur Psychoanalytikerin sieht ein aus Selbsterfahrung (Lehranalyse), Supervision und Theorievermittlung bestehendes dreiteiliges Modell vor, dessen Elemente eng miteinander verschränkt sind und gleichzeitig innerhalb der Schirmherrschaft des jeweiligen Ausbildungsvereins zu absolvieren sind.
Die auf Einsichtsvermittlung beruhende psychoanalytische Therapiearbeit konzentriert sich auf die Bewusstmachung unbewusster pathogener Faktoren psychischen Leidens, erfasst ihre Wirkungen in Symptomen und Charakterstörungen und ist bestrebt, strukturelle Persönlichkeitsveränderungen im Einklang mit den Behandlungszielen der Patienten herbeizuführen. Dafür erweist sich eine längerdauernde und hochfrequente Behandlung im Rahmen des sogenannten Standardverfahrens im traditionellen Setting nach wie vor als unumgänglich. Bei eingeschränkten Therapiezielen oder Indikationsbeschränkungen anderer Art können Vorgehensweisen im Sinne psychoanalytischer Psychotherapien wirksam eingesetzt werden. In jedem Fall erfordert die Technik der freien Assoziation und der Umgang mit höchst intimen und privaten psychischen Inhalten eine besondere Vertrauensgrundlage und einen Schutz vor äußeren Einflussnahmen. Entsprechendes gilt auch für die Ausbildung im Hinblick auf die Selbsterfahrung und die supervidierten Behandlungen. Worauf zuletzt H. Löffler-Stastka und B. Fink in einem wissenschaftlichen Beitrag mit Nachdruck hingewiesen haben, stellen sie die einzig wirksame Prophylaxe gegen missbräuchliches Agieren in Therapien dar. Sie tragen Wesentliches zur Entwicklung der Persönlichkeit und zur Aneignung einer spezifischen Haltung der künftigen Therapeut/innen dar, erfordern ausreichend Zeit und einen geschützten Rahmen, was nur im Rahmen von extrauniversitären Gesellschaften gewährleistet ist.
Geheimhaltungsmaßnahmen und Datenschutz schränken im Übrigen auch die wissenschaftlichen Publikationstätigkeiten in Bezug auf konkrete Falldarstellungen ein.
Aus diesem Grund sind auch weltweit psychoanalytische Ausbildungsinstitutionen als Vereine organisiert und als solche sowohl regional als auch in der IPA und in der EPF mit aktivem und passivem Wahlrecht bei der Besetzung von leitenden Funktionen vertreten. Eine universitäre Ausbildung zum Psychoanalytiker/zur Psychoanalytikerin gibt es nicht, allerdings werden an den meisten Universitäten psychoanalytische Theorien und ihre nicht-klinischen Anwendungen im inter- und transdisziplinären Konnex bis hin zu eigenständigen Doktoratsstudien gelehrt
Die diesen Voraussetzungen entsprechenden psychoanalytischen Ausbildungsgesellschaften im engeren, d.h. psychotherapeutischen Sinn sind somit und derzeit – auch in Österreich - den Reglements dreier normsetzender und qualitätssichernder Körperschaften verpflichtet:
- den nationalen Psychotherapiegesetzen unter Beachtung der jeweiligen Berufsvertretungen und Berufskammern
- den jeweils geltenden Vereinsgesetzen
- und den internationalen Dachverbänden, soweit sie an der Ausgestaltung der Ausbildungsinhalte und -ordnungen maßgeblich beteiligt sind.
Zu berücksichtigen sind auch traditionsgebundene Normen, die auf Begründungsakten der verschiedenen psychoanalytisch/tiefenpsychologischen Schulrichtungen beruhen (Freud, Adler, Jung etc.)
Nicht ohne Einfluss auf die psychotherapeutische Methodenvielfalt und auf spezielle Ausbildungscurricula sind schließlich die Sozialversicherungsträger mit ihrer relativen Autonomie hinsichtlich der Anerkennung von Psychotherapieverfahren in ihren Leistungskatalogen.
So sind fachspezifische Neugründungen auch auf veränderte Positionen und Refundierungsregeln von Krankenkassen zurückzuführen.
Ein weiteres Charakteristikum psychoanalytischer Ausbildung ist die Beachtung der seit ihrem Bestehen ausgearbeiteten Universallehre, welche den klinisch-therapeutischen Anteil in enger Verflechtung mit der Analyse normalen Seelenlebens in ihren individuellen und kollektiven Dimensionen wahrnimmt (so etwa „Normalvorbilder“ seelischer Störungen, Gleichläufe zwischen der psychischen Entwicklungsgeschichte des Einzelnen und der menschlichen Gattung, Verschränkung von Individual- und Sozialpsychologie). Deshalb sind kultur- und gesellschaftstheoretische Lehrinhalte, die auch in selbstständige Disziplinen mit entsprechenden Studiengängen (psychoanalytische Pädagogik, Ethno-Psychoanalyse etc.) münden können, unabdingbarer Bestandteil psychoanalytischer Aus, Fort- und Weiterbildung.
Reaktionen
Das Dossier der Initiativgruppe Psychotherapiegesetz und Psychotherapieausbildung NEU, herausgegeben vom Österreichischen Bundesverband für Psychotherapie (ÖBVP),
der Vereinigung österreichischer Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten (VÖPP), dem Steirischen Landesverband für Psychotherapie (STLP) und der
Expert:innengruppe Psychotherapiegesetz NEU sieht bekanntlich vor, ordentliche Studien der Psychotherapie an staatlichen Universitäten einzurichten. Ein solcher Schritt ist ebenso begrüßenswert wie längst fällig, sofern eine für alle studentischen Anwärter finanziell leistbare Akademisierung des Psychotherapeutenberufs mit einem einheitlichen Grundstudium angestrebt wird. Als Basis für eine daran anschließende fachtherapeutische Laufbahn hätte es die Grundzüge aller seriösen Therapieverfahren im Sinne einer komparatistischen Lehre ebenso mit einzuschließen wie den Erwerb von Praxis in therapeutischen, sozialen, medizinischen und kulturellen Feldern.
Hier könnten dann auch die psychoanalytischen Ausbildungsinstitutionen die für sie wesentlichen Bestandteile ihrer Lehre in einer Zusammenschau und Zusammenarbeit mit anderen Methoden und Schulen als Vorbereitung und Orientierungshilfe für die fachspezifische Entscheidung einbringen.
Behandlungsmonopol?
Mit diesem Vorhaben eines einheitlichen Grundstudiums anstelle bisheriger Propädeutika mit verschiedenartigen Schwerpunktsetzungen stellt sich auch erneut die Frage nach dem Behandlungsmonopol, eine Frage, die bekanntlich als Streitpunkt zwischen Psychologie und Psychiatrie zur Schaffung des Psychotherapiegesetzes von 1991 geführt hat. Unter Besinnung auf ihr verlorengegangenes und letztlich vernachlässigtes Therapiemonopol durch den neuen Berufsstand der Psychotherapeuten und unter Wahrnehmung der auch ihr zustehenden Therapiekompetenz fand sich die Psychiaterschaft schließlich dazu herausgefordert, ihre Fachbezeichnung um einen Psychotherapiezusatz (Psychotherapeutische Medizin) zu erweitern und unabhängig vom Psychotherapiegesetz psychotherapeutische Leistungen unter dem Begriff „Psy-3, Psychotherapeutische Medizin“ zu verwalten. Die diesbezügliche Methodenlehre, festgesetzt durch die Akademie der Ärzte, orientiert sich an den methodischen Hauptströmungen der Psychotherapie. verlangt einen methodenübergreifenden und integrierenden Ansatz; welchem in der Fortbildung Rechnung getragen wird.
Einführung, Theorie und Praxis derartiger psychotherapeutischer Verfahrensweisen beziehen sich auf folgende Methoden:
- Die tiefenpsychologische Tradition
- Die verhaltenstherapeutische Tradition
- Die systemische Tradition
- Die humanistische Tradition
Dabei werden Therapeutische Kurzzeitmethoden, Therapeutische Langzeitmethoden, Störungsspezifische Therapieansätze, Therapeutische Praxis in verschiedenen Settings (Einzel-, Paar-, Gruppen- und Familientherapie, ambulante und/oder stationäre Versorgung), Selbsterfahrung (Einzel, Gruppen), Balint-Arbeit und Supervison berücksichtigt.
Die angeführten Leistungen stehen unter eigenständigen Honorarordnungen mit den Krankenversicherungen und betreffen auch Behandlungen mit den vom Psychotherapiegesetz anerkannten Methoden..
Der Anteil der durch die befugten Ärzt/innen bereitgestellten Leistungen an der psychotherapeutischen Versorgung außerhalb der Leistungen entsprechend dem Psychotherapiegesetz geht aus dem Dossier der Initiativgruppe „Psychotherapie NEU“ nicht hervor. Der Anteil an ärztlichen Vertretern innerhalb aller anerkannten psychotherapeutischen Ausbildungsvereine wird mit insgesamt 4% beziffert. In psychoanalytischen Ausbildungsvereinen ist diese Zahl jedoch wesentlich höher und dürfte 20-25% betragen. Jedenfalls sind von 81 Therapeuten im WAP 18 ärztlich-medizinisch ausgebildet.
Die Ungleichbehandlung beider Gruppen und damit auch ihrer jeweiligen Patient/innen durch die Sozialversicherungen sind jedenfalls ein belastender Faktor für das Arbeitsklima in den Gesellschaften.
In diesem Zusammenhang ist es nicht wirklich verständlich, dass in den in Umlauf befindlichen Positionspapieren mit ihrer Forderung nach einer Einheitslösung der psychotherapeutischen Versorgung die Frage psychotherapeutischer Doppelgleisigkeiten so gut wie gar nicht erwähnt wird. Im Falle des Fortbestands des gegenwärtigen Splittings ergeben sich neben einer unumgänglichen Angleichung der Honorarordnungen auch Fragen nach der jeweiligen Ausbildungsorganisation, da nicht zu erwarten ist, dass psychiatrische Fachärzt/innen, die für die Ausübung ihrer psychotherapeutischen Tätigkeit auf eine Vollausbildung in einer traditionellen Methode nicht verzichten wollen, zwei verschiedene Studien absolvieren werden. Für die die Beibehaltung eines psychotherapiebezogenen Niveauausgleichs zwischen Psychotherapeuten und Psychiatern und für die Qualitätssicherung der psychotherapeutischen Medizin erscheint die weiterbestehende Eingliederung ihrer Kandidaten und Vertreter in die nach dem Psychotherapiegesetz organisierten Ausbildungsgesellschaften unbedingt erforderlich. Von universitärer Seite könnten medizin-universitäre Einrichtungen wie Kliniken für Psychiatrie und Psychotherapie bzw. für Psychoanalyse und Psychotherapie bei diesem Integrationsprozess stärker herangezogen werden.
Universitäre und fachgesellschaftliche Kooperationen
Das genannte Dossier sieht vor, dass die Institute für Psychotherapie von Beginn an in einer durchgehenden und verpflichtenden Kooperation mit psychotherapeutischen Fachgesellschaften stehen. Da im gleichen Zug immer auch Parallelen zum ärztlichen Beruf mit Medizinstudium und Facharztausbildung herangezogen werden, ist darauf hinzuweisen, dass das grundlegende Medizinstudium rein universitär geregelt ist, während das an das Doktorat anschließende Facharztdiplom den Reglements der Ärztekammern unterstellt ist. Die angestrebte enge und durchgehende Kooperation zwischen Universitätsinstituten und Fachgesellschaften im Falle der Psychotherapie erfordert eine eingehende Reflexion und Diskussion, um die Autonomie beider Körperschaften zu wahren und keiner von beiden eine Vorrangstellung gegenüber der anderen einzuräumen.
Der Vergleich mit der Medizinerausbildung lässt schließlich auch die Frage berechtigt erscheinen, ob sich ein dreiteiliges Studium nach dem Bologna-Prinzip mit ordentlichem Bachelor- und Masterstudium und einer postgradualen Ausbildungsphase für eine Neuregelung wirklich empfiehlt. In jedem Fall ist selbstverständlich die Beibehaltung des derzeit erforderlichen Mindestalters für die Ausübung selbstständiger beruflicher Tätigkeit, das offensichtlich durch eine postgraduale Phase gewährleistet ist, im Auge zu behalten.