Vortrag "Neurotische und andere prekäre Liebesverhältnisse" von August RUHS
Neurotische und andere prekäre Liebesverhältnisse
von August RUHS
Obwohl die Liebe als anthropologische Konstante universellen Charakter für sich beanspruchen darf, erweist sie sich aufgrund der Mannigfaltigkeit ihrer Erscheinungsformen, der Verschiedenheit ihrer Erlebnisweisen und der Variabilität ihrer Auffassungen letztlich als Produkt von Geschichte und Kultur. Ihrer engen Beziehung zum Begehren, zum Genießen, zur Leidenschaft und zum sexuellen Geschlechterverhältnis sowie ihrer weitgehenden Kongruenz mit dem Phänomen der Übertragung verdankt sie auch ihre zentrale Stellung in Theorie und Praxis der Psychoanalyse. Aus dem Umstand, dass die Liebe den Dimensionen des Realen, des Imaginären und des Symbolischen gleichermaßen verhaftet ist, ergibt sich ihre innige Verwobenheit mit antagonistischen Strebungen und eine grundsätzliche Prekarität der menschlichen Liebesverhältnisse. In purifizierter Gestalt erweist sich Liebe als ein Zustand des Mangels, der nach einem Objekt strebt, dem sich außerhalb mythischer Darstellungsversuche das sokratische agalma, das freudsche Ding und Lacans Objekt ‚a‘ anzunähern versuchen. Unter den analyserelevanten Pathologien des Liebeslebens sollen außerhalb narzisstischer Fixierungen mit ihren spezifischen Objektwahlen die Liebesverhältnisse im Rahmen von Übertragungsneurosen stärkere Beachtung finden, wobei sich hysterische und zwangsneurotische Dreiecksbeziehungen in den Vordergrund drängen. Damit stellt sich auch mit Nachdruck die Frage nach dem Platz der Liebe und der Handhabung ihrer Erscheinungen im reziproken Übertragungskontext psychoanalytischer Behandlungen.