Spanische Grippe – Covid 19 und Sigmund Freud
Spanische Grippe – Covid 19 und Sigmund Freud von Jeanne Wolff Bernstein
Spanische Grippe – Covid 19 und Sigmund Freud
Was können wir aus der Geschichte lernen?“
Wenn wir nun sagen wir bekämpfen das Virus, wir werden es besiegen, so sprechen wir in Kriegsmetaphern, die eigentlich nicht auf das Virus zutreffen. Das zeigt, wie abstrakt die Situation ist. Wir haben nicht einmal eine angemessene Sprache dafür.” (Annemarie Pieper, 2020)
Was wäre eine angemessene Sprache und wie soll man sie finden in Zeiten von Corona, in denen so viel Not und Tod während einer weltweiten Pandemie herrschen? Konfrontieren wir nicht wieder “eine Krise des Imaginären” (see Tom Friedman, NYTimes, 2001, crisis of imagination) wie am 11. September 2001, wo wir auch zuerst keine passenden Worte finden konnten, um den Einsturz der “Twin Towers” zu beschreiben, nachdem ein Flugzeug, gesteuert von Mohamed Atta, in beide Türme geflogen war? Heutzutage konfrontieren wir nicht einen brutalen terroristischen Akt der politisch motiviert ist und uns sprachlos stimmt, sondern wir stehen einem unsichtbaren Virus gegenüber, das übereine Million Menschen infiziert hat und zehn-tausende von Todesfällen inrasant schneller und höchst unerwarteter Weise weltweit gefordert hat.
Um eine Sprache, ein symbolisches System wieder zu finden, um das Reale wieder in einer Sprache zu ergreifen, in die wir die jetzige Katastrophe eingliedern können, gingen meine Gedanken zurück zur Spanischen Grippe und zurück zu der Frage wie Sigmund Freud wohl aufdie damalige, höchst vernichtende Pandemie reagiert hatte und wie er sie möglicherweise in seinen Schriften verarbeitet hatte. Einzig bekannt war mir, dass Sophie Halberstadt-Freud, seine Lieblingstochter, sein ”Sonntagkind”, an ihr am 25. Januar 1920 gestorben war, und dass ihr Tod wie auch der ihres jüngsten Sohnes, Heinerle, drei Jahre später eine tiefe, nur später zu erkennende Trauer und Verzweiflung in Freud ausgelöst hatte. Er teilt den Tod von Sophie seiner Mutter Amalie als erste am 26. Januar 1920 mit den folgenden Worten mit:
Liebe Mutter,
heute habe ich eine traurige Nachricht zu geben.
Unsere teure, blühende Sophie ist gestern früh an einer rasch verlaufenden Grippe mit Lungenentzündung gestorben. Wir haben es mittags durch ein Gespräch mit Minna in Reichenhall erfahren . Oli(ver) und Ernst sind von Berlin aus zu Max gereist. Robert und Mathilde fahren am Neunundzwanzigsten dieses Monats, um wenn möglich dem vereinsamten Mann beizustehen. Martha ist zu elend, man könnte ihr die Reise nicht zutrauen, und Sophie hätte sie doch nicht mehr am Leben angetroffen.
Es ist das erste unserer Kinder, das wir so überleben müssen. Was Max tun, was mit den Kindern geschehen wird, wissen wir natürlich noch nicht.
Ich hoffe, Du wirst es ruhig hinnehmen, man muss sich ja auch das Unglück gefallen lassen. Trauer um die prächtige, lebenstüchtige Kleine, die so glücklich mit Mann und kindern war, ist aber erlaubt.
Ich grüße Dich herzlich,
Dein Sigmund
(in Ernst Freud, 1960, 326,)
Und einen Tag später schreibt Freud an Oskar Pfister, seinem Freund, dem Schweizer Pastor:
Lieber Herr Doktor,
..... Am selbigen Nachmittag erhielten wir die Nachricht, daß unsere liebe Sophie in Hamburg von einer Grippe-Lungenentzündung hinweggerafft worden ist, so weggerafft aus blühender Gesundheit, aus voller Lebenstätigkeit als tüchtige Mutter und zärtliche Frau, in vier oder fünf Tagen, als wäre sie nie dagewesen. Wir waren schon seit zwei Tagenbesorgt um sie, hatten aber doch Hoffnung; aus der Ferne ist das Urteilen ja so schwer. Und diese Ferne muss eine Ferne bleiben; wir konnten nichtwie wir wollten, sofort nach der ersten alarmierenden Nachricht reisen; esging kein Zug, auch kein Kinderzug. Die unverhüllte Brutalität der Zeit drückt auf uns. Morgen wird sie eingeäschert, unser armes Sonntagskind! Erst übermorgen können unsere Tochter Mathilde und ihr Mann, dank einer unverhofften Konstellation von einem Erntezug mitgenommen, sichauf den Weg nach Hamburg machen; unser Schwiegersohn war zum mindesten nicht allein; zwei unserer Söhne, die in Berlin waren, sind bereits bei ihm, und Freund Eitington ist mit ihnen gefahren. Sophie hinterläßt zwei Söhne, von sechs Jahren und von dreizehn Monaten und einen untröstlichen Mann, der das Glück dieser sieben Jahre jetzt teuer bezahlen wird. Das Glück war nur zwischen den beiden; nicht äußerlich: Krieg, Einrückung, Verwundung, Aufzehrung ihrer Habe, aber sie waren tapfer und heiter geblieben.
Ich arbeite, so viel ich kann, und bin dankbar für die Ablenkung. Der Verlust eines Kindes scheint eine schwere, narzißtische Kränkung; was Trauer ist, wird wohl erst nachher kommen....” ( in Ernst Freud, 1960, 327,)
Und an Sandor Ferenczi schreibt er am 4. Februar, ein paar Tage später, “... Machen Sie sich um mich keine Sorgen. Ich bin bis auf etwas mehr Müdigkeit derselbe. Der Todesfall, so schmerzvoll er ist, findet doch keine Lebenseinstellung umzuwerfen. Jahrelang war ich auf den Verlust der Söhne gefaßt , nun kommt der der Tochter; da ich im tiefsten ungläubig bin, habe ich niemanden zu beschuldigen und weiß , daß es keinen Ort gibt, wo man eine Klage anbringen kann. ... Ganz tief unten wittere ich das Gefühl einer tiefen, nicht verwindbaren narzißtischen Kränkung. Meine Frau und Annerl sind im menschlicherem Sinn schwer erschüttert. (in Ernst Freud, 1960, 327-328)
Die Trauer kam später, aber was nicht mehr kam, war ein Zurückblenden auf die Auswirkungen der Spanischen Influenza auf sein eigenes Schaffen und auf die Spuren, die die damalige Pandemie bei den anderen Familienmitgliedern hinterlassen hatte. Dank der Korrespondenz mit Karl Abraham können wir aber erfahren, daß bereits seine Frau Martha im Mai1919 an einer “Grippenpneumonie” erkrankt war. “Meine Frau liegt jetzt mit einer echten Grippenpneumonie, aber es scheint gut zu verlaufen, man rät uns keine Sorge zu haben” (2009, 620) Durch eine daran angeknüpfte Fussnote von Ernst Falzeder und Ludger Hermanns, lernen wir jedoch, dass “Martha Freud sich von dieser Grippe monatelang nicht erholen sollte. 1918-1919 wütete die sogenannte Spanische Grippe, der mehr Menschen zum Opfer fielen als durch den Ersten Weltkrieg, darunter Freuds Tochter Sophie (gest. 25.1.1920)” (2009, 621) Nach ihrer Genesung, wählt Martha in das Sanatorium von Parsch zu gehen und Freud fährt mit seiner Schwägerin, Minna, in das etwas teure Sanatorium in Bad Gastein, was ihn dazu veranlasst an Karl Abraham am 6. Juli 1919 Folgendes zu schreiben,
... “Meine Frau ist, darf ich sagen, völlig hergestellt. Sie reist am 15. desMonats in das Sanatorium Parsch bei Salzburg, gleichzeitig fahre ich und meine Schwägerin nach Gastein. Ihr Arzt besteht auf einen Versuch mit Höhenklima bei ganz ruhigem Leben.Meine Tochter bemüht sich um Einreise ins Bayerische bei Reichenhall in Gemeinschaft mit einer Freundin (Margarete Rie) Verwundern Sie sich nicht, dass wir in diesen Zeiten so teure Aufenthalte wählen. Alles in der Nähe von Wien ist noch teurer, fast unerschwinglich, die meisten Sommerurlaube sind gesperrt, Alles was mit Reisen ins Ausland zusammenhängt, noch immer unerträgliche Plackerei. Und man will doch nicht ganz auf die mögliche Erfrischung, so lange es warm ist, verzichten. Wer weiß wie viele von uns den nächsten Winter, von dem Böses zu erwarten ist, überstehen werden. Auch regt die Sicherheit des materiellen Untergangs als Folge unserer staatlichen Situation gerade nicht zu Sparsamkeit an. (2009, 624, Betonung, meine)
Abgesehen von der Non-chalance mit der Freud seinem Kollegen Abraham mitteilt, dass er mit Minna in das teure Sanatorium fährt anstatt mit seiner Frau Martha nach Parsch bei Salzburg, erfahren wir auch an anderer Stelle, dass noch drei andere Kinder von Freud an der Influenzia erkrankt waren, Anna, Ernst und Mathilde. Von ihren Erkrankungen ist kaum die Rede denn Freud hält sich bedeckt seinen Freunden und Kollegen von jenen Krankheitsfällen zu erzählen. Hinzu schlummert im Hintergrund auch noch Freuds Sorge um seinen Sohn Martin, der bei Kriegsende noch in Kriegsgefangenschaft gelandet war.
Am 2. Dezember 1918 schreibt Freud seinem Freund Abraham, daß sein Sohn Martin nicht heimgekehrt ist, “...alle Auskünfte deuten darauf hin, dass sein ganzer Truppenkörper kampflos gefangen genommen wurde, das wäre also nicht das Ärgste; über sein persönliches Schicksal seit 25. Oktober keine Nachricht. Ernst ist in München, Oli urlaubt zu Hause. Die Einschränkungen sind arg bei uns, die Unsicherheiten groß, Praxis natürlich geringfügig.“ (2009, 604) Zwei Wochen später, weiß Freud 5immer noch nicht wo Martin gefangen gehalten wird, und “Das trägt zur gedrückten Stimmung dieser Zeiten bei.“ (2009, 607) Erst am 19.1.1919, drei Monate nach der ersten Auskunft seiner Inhaftierung, erfährt Freud, dass Martin in Genua festgenommen wurde. Im Juli, also zu jener Zeit zu der Martha, Minna und Freud in getrennte Sanatorien fahren, wird Martin aus der Kriegsgefangenschaft entlassen und kehrt nach Wien zurück.
Im Gegensatz zu unserer heutigen Covid 19 Pandemie, scheint die Spanische Influenza für Freud nur ein arger Nebenschauplatz gewesen zu sein in Anbetracht aller anderen Nöte und Schicksalsschlägen denen er ausgesetzt war. Durch das Lesen seiner verschiedenen Briefe zu einer Zeit in der er unter anderem Das Tabu der Virginität (1918), Das Unheimliche (1919), Ein Kind wird Geschlagen (1919) verfasst hatte, warer fast tagtäglich mit Nahrungs-Heizungs-Reise und wirtschaftlichen Einschränkungen aller Art konfrontiert “Die Einschränkungen sind arg, die Unsicherheiten groß und die Praxis geringfügig“ und “das Zimmer bitterkalt” (9.2.19).
Die Spanische Grippe, “spanisch” nur genannt, weil Spanien kein Presseverbot hatte und somit relativ frei über die Ausbreitung der Seuche welt-weit berichten konnte, waren die „spanischen“ Viren, aus den USA (Haskell County, Kansas State) gekommen und durch amerikanische Soldaten nach Europa übertragen. Die Spanische Grippe war engst mit dem Kriegsgeschehen in Europa verbunden, denn mit dem Einschreiten der US Soldaten auf französischem Boden, kam der eigentlich noch größere “Killer” nach Europa. Was als Unterstützung und Hilfe der Alliierten galt, entpuppte sich im Nach-hinein als der heftigere tödliche Faktor. Es gibt unzählige Parallelen zwischen der damaligen und heutigenPandemie, angefangen von den Symptomen (trockener Husten, hohes Fieber, Schüttelfrost; Lungenentzündung) von dem Verlauf der Krankheit, (wenn man die Entzündung nicht überlebte, trat der Tod gewöhnlich nach 9/10 Tagen ein und die Überlebenden klagten von einer schweren Müdigkeit und darauffolgenden Depressionen) von den ersten Gerüchten “fake news” über den Verlauf und die Ausbreitung der Krankheit, (die Grippe sei durch Konservendosen aus Spanien importiert und diese wären wiederum von den Deutschen vergiftet worden) und einer Überwältigung angesichts der großen Anzahl der Toten (trotz der eingeleiteten Quarantänemaßnahmen stieg die Anzahl von 2800 im August auf 12000 Tote im September in den USA allein). (für mehr Information, wikipedia 2020).
Und doch warnt die Historikerin Elisabeth Dietrich Dam von der Universität Innsbruck, die beiden Epidemien nicht zu leichtfertig zu vergleichen. Sie vertritt den Standpunkt, dass der Weltkrieg und die Kriegsziele immer vordergründig blieben, „Soldaten wurden in Eisenbahnen und Schiffen zusammengeballt, verfrachtet, und wenn einer von ihnen erkrankt war, steckte er die gesamte Truppe an. Die Quarantäne und Isolierungsmaßnahmen, die Regierungen in ganz Europa ergriffen haben und die der Eindämmung der Corona Pandemie dienen, waren im Ersten Weltkrieg nicht möglich.“ (2020).
Dieses Zurückblenden auf die Vergangenheit hilft eventuell die jetzige Covid 19 Pandemie klarer einzuschätzen und wieder in verständlichere Bahnen zu lenken. Durch sie lernen wir, dass wir uns auf mehrere Etappen der Pandemie wahrscheinlich auch vorbereiten müssen, denn die Spanische Grippe dauerte 2 Jahre, 1918-1920 und wirkte sich weltweit durch drei verschiedene Wellen aus. Aber wir können auch Einiges durchdie Unterschiede lernen die zwischen den beiden, fast hundert Jahre auseinander liegenden Pandemien bestehen. Im Gegensatz zu Covid 19 starben an der Spanischen Grippe hauptsächlich jüngere Menschen (20-740) und durch den 1. Weltkrieg verbreitete sich die Influenza nochmals schneller und breiter und forderte am Ende fast 50 Millionen Todesopfer und 500 Millionen Infizierte. Im Gegensatz zur damaligen “Lungenpest”, haben wir keine großen Kriege zu kämpfen und dazu sieht sich Europa noch nicht mal im Stande den paar tausenden Flüchtlingen zu helfen, die auf der Flucht vor dem syrischen Krieg, in griechischen Flüchtlingslagernverharren müssen. Wir bekämpfen keine Hungersnot, unsere Überlebenschancen sind durch neu gewonnene Sicherheitsmaßnahmen weit höher als damals und neu gefundene Medikamente und Impfungen sind auf dem Weg. Jedoch die Frage warum Sigmund Freud nie weiter die Spanische Influenza in seinen Schriften erwähnt hatte, ist wohl durchdie enge Verstrickung mit den Todesopfern des Ersten Weltkriegs zu verstehen. Vielleicht ist der große Unterschied zwischen den Kriegsopfern und den Opfern der Spanischen Influenza erst im Nachhinein - nachträglich - bekannt geworden, so dass zu Freuds Lebzeiten die Differenz zwischen den Menschen die an der Pandemie gestorben waren und die im Krieg gefallen waren, gar nicht so klar auseinander gehalten werden konnten. Hinzu kommt, dass der von Menschen inszenierte Tod –wie ein Krieg, der ja vermeidbar wäre- eine viel komplexere Analyse der menschlichen Lust/ Unlust an Gewalt erfordert als das Sterben an einer unsichtbaren Pandemie, der man relativ hilflos ausgeliefert ist.
Trotzdem sollten wir uns immer wieder an die Worte von Sigmund Freud erinnern, die, wie ein Echo aus der Ferne klingen,
“Wenn Du das Leben aushalten willst, richte Dich auf den Tod ein.”
(Freud 1915, 355)
Wie schon angedeutet, konnte Freud sich erst seiner ungemeinen Trauer hingeben als sein kleiner Enkel Heinerle, der jüngste Sohn von Sophie 8am 19. Juni 1923 starb. Drei Jahre später, am 15. Oktober 1926, schreibt Freud an Ludwig Binswanger die folgenden Zeilen:
“Dieses Kind hat für mich den Platz aller meiner anderen Kindern und Enkelkindern genommen, und seitdem, seit Heineles Tod, kümmere ich mich nicht mehr um meine anderen Enkelkinder und empfinde auch keine Lust mehr am Leben. Das ist auch das Geheimnis meiner Gleichgültigkeit/Indifferenz – was man Mut genannt hat – in Anbetracht der Bedrohung auf mein eigenes Leben.”
Und im Jahre 1929, antwortet er Ludwig Binswanger am 12. April 1929 (welches der 36. Geburtstag seiner Tochter Sophie gewesen wäre):
“Man weiß , daß die akute Trauer nach einem solchen Verlust ablaufen wird, aber man wird ungetröstet bleiben, nie Einen Ersatz finden. Alles, was an die Stelle rückt, und wenn es sie auch ganz ausfüllen sollte, bleibt doch etwas anderes. Und eigentlich ist es recht so. Es ist die einzige Art die Liebe fortzusetzten, die man ja nicht aufgeben will
Literatur :
Dietrich- Daum, Elisabeth, (2020) ttps://www.uibk.ac.at/newsroom/nicht-mit-historischen-seuchen-vergleichbar.html.de
Freud, Sigmund (1915): Zeitgemäßes über Krieg und Tod. GW X, 324-355.
Freud, Ernst, (1960) Briefe 1873-1939, S. Fischer Verlag.
Sigmund Freud/ Karl Abraham Briefwechsel 1907-1925, VollständigeAusgabe, Herausgegeben von Ernst Falzeder & Lidger M. Hermanns,2009, Verlag Turia und Kant.
Sigmund Freud / Sandor Ferenczi Briefwechsel, Herausgegeben von Ernst Falzeder & Eva ; 1996, Böhlau, Wien
Pieper, Annemarie, (2020), Interview mit Annemarie Pieper, Tagblatt, 25.März.
de.wikipedia.org/wiki/Spanische_Grippe