Das Pandämonium der Pandemie oder warum z.B. das Hamstern von Klopapier Sinn macht
Das Pandämonium der Pandemie oder warum z.B. das Hamstern von Klopapier Sinn macht
Anders als in triebfreundlichen und lustorientierten Ausnahmezuständen mit Massenwirkung, wie sie von der Gesellschaft aufgrund deren Ventilfunktion organisiert werden, sind in bedrohlichen individuellen und kollektiven Krisensituationen, die mit ausgeprägten Einschränkungen, Untersagungen und Entbehrungen einhergehen, psychosoziale Dynamiken wirksam, die auf einer Abfolge von Frustration, Aggression und Regression beruhen. Dieser Dreischritt wird allerdings nicht immer vollständig durchlaufen und er führt auch zu verschiedenartigen Ausgestaltungen sowohl auf der Ebene aggressiver Kurzschlüsse als auch im Hinblick auf bevorzugt aufgesuchte Organisationsformen, die der Kompensation und der Wiederherstellung eines seelischen Gleichgewichts dienen.
Geht man davon aus, dass soziale Kommunikation mit ganzheitlichen zwischenmenschlichen Begegnungen unter Einschluss intimer Kontakte für den größten Teil unseres Wohlbefindens sorgt, so sind schon übliche und notwendige Einschränkungen und Versagungen verantwortlich für das, was Freud als das „Unbehagen in der Kultur“ bezeichnete.
Der Freiheitsverlust durch Subordination unter die Gesetze der Gemeinschaft – auch dies ein fundamentaler Regressionsakt - wird allerdings mit einem Gewinn an Sicherheit ausgeglichen. Dieser prinzipielle gegenseitige Ausschluss von Freiheit und Sicherheit zeigt sich am deutlichsten in jenen sozialen Aggregatzuständen, die als Massenbewegungen mit der Begrifflichkeit der „Massenseele“ charakterisiert sind. In seinem bemerkenswerten Essay „Massenpsychologie und Ich-Analyse“ aus dem Jahr 1921, der in hellsichtiger und antizipierender Weise bereits die sozialpolitischen Strukturen des Nationalsozialismus beschreibt, weist Freud darauf hin, dass in Massenbildungen Menschen teilweise auf ein Niveau vor der Konstituierung ihrer stabilen Ich-Grenzen regredieren, dabei zwar einen Schwund ihrer Persönlichkeit und ihrer Identität erleiden, dafür aber ein Gefühl von Sicherheit und unendlicher Macht erlangen. In einer gegenseitigen libidinösen Induktion verbinden sich die Individuen in ihren Ich-Instanzen miteinander und projizieren gleichzeitig ihr Ich-Ideal auf eine Führerfigur oder auf eine gemeinsame Idee, welchen sie auch in gewalttätigste Aggressionshandlungen Gefolgschaft zu leisten geneigt sind.
Unter den gegenwärtigen Restriktionen angesichts globaler Bedrohungen, die nicht ohne weiteres verkraftbar sind, stellt die Reaktion auf die Covid-19-Pandemie insofern eine spezifische Herausforderung dar, als sie sich in besonderer Weise auf das Gemeinschaftsleben auswirkt und dabei psychische Abwehrmaßnahmen in Gang setzt, die nicht unbedingt gravierende Folgen nach sich ziehen müssen, in der Regel aber doch mit zum Teil irrationalen Verhaltensweisen und Symptomhandlungen einhergehen. In kollektiver Ausbreitung begleiten sie als soziale Infektion die virale Epidemie, wobei je nach ethnischen bzw. Volksgruppen verschiedene Bewältigungsstrategien gewählt werden können.
Mehr oder weniger direkte Äußerungen der frustrationsbedingten Aggressivität kann entweder nach außen projiziert werden oder gegen die eigene Person gerichtet sein. Im Vokabular der Psychoanalyse ausgedrückt handelt es sich dabei um Abwehrvorgänge, die auf eine paranoid-schizoide oder aber auf eine depressive Stufe verweisen. Verschwörungstheorien und Sündenbockstrategien einerseits und Vorstellungen von Eigenverschuldung oder Versündigungsideen andererseits wachsen auf diesem oft von politisch Verantwortlichen gedüngten Boden, sofern nicht überhaupt Verleugnungsstrategien der Bedrohung eingesetzt werden. In dieser Hinsicht kann die Schädlichkeit fragwürdiger Politiken auch in ihrer Inkonsequenz und in ihren wechselnden Haltungen liegen.
Zumeist treten aber regressive Tendenzen in den Vordergrund, wobei auf einer niedrigeren Organisationsstufe der Triebentwicklung und Triebbefriedigung Kompensationen und Ersatzbefriedigungen gesucht und gefunden werden. Unter den aktuellen Bedingungen verordneter Sozialdistanz mit Einschränkungen des Bewegungsdrangs bieten sich fast selbstverständlich Rückzüge auf orale und anale Stufen mit entsprechenden Partialobjekten an, wobei andere Partialtriebbefriedigungen mit stärkerem intersubjektivem Charakter wie etwa die Genüsse auf der Ebene der Schaulust oder Begegnungen auf den stimmlichakustischen Bahnen des sogenannten Invokationstriebes durch mediale Technologien gestützt werden. Wenn auch für viele der großzügig geförderte Rundfunk-, Fernseh- und Videokonsum nur einen bedingten Ersatz für Theater, Kino und Konzert bietet, so kommt er doch jenen Bedürfnissen weitgehend entgegen, die im diesfalls berechtigten Ruf nach panem et circenses propagiert werden. Da ist es auch kein Fehler, wenn die gegenwärtig politisch gestützten und hauptsächlich aus Ärzten, Ökonomen und Mathematikern zusammengesetzten Expertenregierungen bei der Sicherstellung der Basisversorgung Luxusgüter berücksichtigen. Und es ist auch nicht unklug, wenngleich nicht einer gewissen Ironie entbehrend, wenn dabei selbst der vielgeschmähte Tabakkonsum in die Kategorie der Grundversorgungsmittel fällt.
Angesichts prall gefüllter Kühlschränke beschäftigen sich weltweit kursierende Witze und Witzvideos mit einer zu erwartenden allgemeinen Zunahme des Körpergewichts und verweisen auf Annehmlichkeiten in der Quarantäne, welche auch andere Lebensbereiche mit einbeziehen. So ist etwa aus einer analerotischen Perspektive betrachtet beides möglich: triebfreundliches Behagen in der Unkultur mit einem relativ sorglosen und unbekümmerten Tagesablauf in Pyjama oder Trainingstrikot oder aber, von Seiten der Abwehr aus genossen, ein forcierter Angriff auf Unordnung und Schmutz mit oft penibelst durchgeführten Hygienemaßnahmen. Jedenfalls sind es nicht die kommenden Osterfeiertage, die in den Haushalten den Verbrauch von Wasser und Putzmitteln spürbar erhöhen. Mit dem „Aufräumen“ ist immer auch die Möglichkeit einer Aggressionsabfuhr aus dem Reservoir anal-sadistischer Impulse gegeben, was Robert Musil zu seiner tiefgründigen Bemerkung veranlasst haben dürfte, dass Ordnung irgendwie in Totschlag übergehe.
In diesem Zusammenhang ist auch die vielbeachtete und vielbelächelte, aber nicht minder eifrig betriebene Skurrilität des Hamsterns von Klopapier zu betrachten, dessen Sinn sich aus der Nähe des Defäkationsdranges zum Affekt von Angst und Schrecken ergibt. Mit dieser symbolischen Aufladung wird das Toilettepapier zu einem sekundären metonymischen Objekt der Angst, das einerseits und entsprechend einer imaginären Gleichung eine Verschiebung vom primären und verpönten Objekt "Kot" erlaubt, gleichzeitig aber auch als Angstfänger und als ein den Defäkationsakt antizipierender Kotbeseitiger fungiert.
Ganz im Sinne identitätsbildender sozialpsychologischer Unterschiedlichkeiten zwischen ethnischen Gruppen und staatlichen Kollektiven gestaltet sich auch der Umgang mit den corona-bedingten Restriktionen und existenziellen Ängsten nicht in allen Ländern auf die gleiche Art und Weise. So wird kolportiert, dass es in Italien neben einem Engpass an Rotwein auch zu Schwierigkeiten in der Kondomversorgung gekommen sei, was auf Abwehrkonstellationen auf anderen Regressionsniveaus verweist, in diesem Fall aber mit größeren Gesundheitsrisiken verbunden sein könnte.
Hinsichtlich der Frage nach den Reifegraden von Abwehrmaßnahmen und Haltungen gegenüber prekären, frustrierenden und existenzgefährdenden Situationen ist unbedingt auf die Funktion des Humors hinzuweisen, der sich immer schon auf den Grundtypus des Galgenhumors zurückbinden lässt. Daher hat auch vor kurzem unser Bundespräsident mit einiger Berechtigung angemahnt, bei der ganzen Katastrophe nicht ganz auf den Spaß zu vergessen. Es gibt natürlich Zeitgenossen und -genossinen, die in Anbetracht von Witzen, Scherzen und Blödeleien im Zusammenhang mit der Pandemie pikiert die Nase rümpfen. Ihnen wäre entgegenzuhalten: Satire darf alles!